Folgendes Gedicht schrieb ein fünfzehnjähriger Junge zwei Jahre, bevor er sich umbrachte:

Einmal (...) schrieb er ein Gedicht.
Und er nannte es "Chops",
weil so sein Hund hieß,
denn darum ging es und weiter nichts.
Und der Lehrer gab ihm eine "Eins"
und einen goldenen Stern.
Und seine Mutter hängte es an die Küchentür
und las es allen Tanten vor.

Einmal (...) schrieb er ein anderes Gedicht.
Und nannte es "Unschuld mit Fragezeichen",
weil so sein Kummer hieß
denn darum ging es und weiter nichts.
Und der Lehrer gab ihm eine "Eins"
und fixierte ihn mit einem seltsamen Blick.
Und seine Mutter hängte es nicht an die Küchentür,
weil er es ihr nicht zeigte.

Einmal, um drei Uhr morgens, (...) versuchte er noch ein Gedicht
und gab ihm keinen Namen, absolut nichts,
denn darum ging es und weiter nichts.
Und er gab sich selbst eine "Eins"
und einen Schnitt an beiden feuchten Handgelenken,
und er hängte es an die Badezimmertür,
weil er es
zur Küche nicht mehr schaffte.

Quelle: Kay Redfield Jamison:
Wenn es dunkel wird. Zum Verständnis des Selbstmordes, Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber, Berliner Taschenbuch Verlag Berlin 2002, S. 92.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sterben in Deutschland durch Suizid jährlich mehr Menschen (ca. 11.000), als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Aids und Gewalttaten zusammengenommen. Wahrscheinlich liegt die Zahl sehr viel höher, da es vermutlich eine hohe Dunkelziffer gibt. Die Rate an Suizidversuchen ist schätzungsweise etwa zehn Mal so hoch. In den jüngeren Altersgruppen ist die Anzahl der Versuche 20-50 Mal höher als die Zahl der vollzogenen Suizide.