Schauspiel

Elling

Schauspiel von Axel Hellstenius (unter Mitwirkung von Petter Næss) nach dem Roman „Blutsbrüder“ von Ingvar Ambjørnsen, Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Elling über Zwangsneurosen

Ich wusch mich gründlich. Vorne und hinten, oben und unten. Wieder tauchte das Bild einer vergewaltigten Frau auf. Als ich fertig war und mich ganz und gar in frischgewaschene Kleider geworfen hatte, überkam mich erneut die Unruhe. Etwas schien in der Luft zu liegen. Hatte ich mich gründlich genug gewaschen? Hatten Seife und Waschlappen jeden Millimeter meines Körpers berührt, oder gab es Stellen, die ich „vergessen“ hatte? Ich zog mich wieder aus. Stellte das heiße Wasser an. Nahm jetzt Mutters Bürste. Schrubbte mich hellrot. Drehte das heiße Wasser bis an die Grenze des Erträglichen auf. Über die Grenze des Erträglichen hinaus, ich schrie. Dann kaltes Wasser. Eiskalt, wieder schrie ich. Dann die Bürste und ein ganz neues Stück Seife. Es war gute Seife, das merkte ich sofort. Sie schäumte ordentlich und duftete ganz wunderbar. Heiß. Kalt. Heiß. Kalt. Ich stieg aus der Badewanne und rieb mich lange mit einem hundertprozentig sauberen Handtuch ab. Reichte das? War ich jetzt sauber? Ich stieg wieder in die Wanne. Drehte das heiße Wasser auf. ... Trotzdem war ich nicht dumm genug, um nicht zu wissen, daß ich im Badezimmer soeben die pure Zwangshandlung vollzogen hatte. Das ist lange nicht mehr vorgekommen, Elling. Weißt du noch, wie du fast eine ganze Woche lang immer auf der untersten Treppenstufe kehrtmachen und wieder nach oben gehen mußtest, weil du nicht sicher warst, ob deine Füße; beide Füße, jede Treppenstufe zwischen den Stockwerken berührt hatten? Gut, daß du über Selbstironie verfügst, Elling. Sonst könntest du dich selbst leicht zum Wahnsinn treiben.
(Ausblick auf das Paradies, S. 165ff.)